Ceci n'est pas de la science – LABOR, Ausgabe 2019 (work in progress)
LEBEN MIT FRAGEZEICHEN
Schreibt Gottfried Boehm, dass die „Logik der Bilder“ eine Wandlung vom „Faktischen ins Imaginäre“ umfasse, so ist die Basis des LABORs das Vorgestellte, das das „Faktische in die Lage versetzt, sich zu zeigen und etwas zu zeigen.“ In der Installation von Mellinghaus wird ein symbolhaftes „Neumachen“ der Welt spürbar. Die Kunst-Welt-Schöpfung findet Vielschichtigkeit in intertextueller und medialer Kommunikation: das „Auftrennen“ und Zusammenführen von Identitäten, die Kontextualisierung von Medien, die Bezugnahme von Modulen … Es ist ein fragmentarisches, variables System fiktiver Annäherungen lebensnaher/-ferner Verbindungen. Anachronismus und Widersprüchlichkeit implizieren einen zeitentleerten Raum, in dem statt Vergangenheit Erinnerung verfügbar ist.
Entscheidend für Mellinghaus sind die sich konstituierenden Ebenen zwischen Werk und (Um-/Zwischen-/Gegen-)Welt – letztendlich zwischen dem eigenen Innen und der nach außen sichtbar werdenden Kunstsprache: wirklichkeitsreflektierend und -generierend. Ihr Archiv ist ein Ort der Selbstbeobachtung, ihr Projekt eine Wunderkammer außergewöhnlicher Ideengehalte.
Mellinghaus beschwört universelle Räume, evoziert Vorstellungsbilder, differenziert zwischen Realität und Wirklichkeit, philosophiert über Ähnlichkeit und Kontrast, Individualität und Ideal, Mensch und Environment und experimentiert mit Aneignung. Sie arbeitet mit Text, bedient sich grafischer, fotografischer sowie skulpturaler Mittel, bearbeitet Stoff, inszeniert Objekte und Räume und lässt performative Aspekte wirken. Dabei entwickelt sie eine eigene Ikonografie. Formal vielfältig und inhaltlich multidimensional verdichtet sich das LABOR zu einer Grundaussage: 0 = ∞. Realität wird zu einem (aus)dehnbaren Begriff. Der Kunst von Mellinghaus ist jene Freiheit eigen, die nach Hans Jonas „eine Freiheit von Distanz und Herrschaft zugleich ist […], die Freiheit, den Dingen in der Imagination nachzusinnen.“
Und der/die BetrachterIn? „Strohhalme des Wissens“ bieten vermeintliche Sicherheit. Das Feld der Wissenschaft dient als analytisches Mittel, dabei lebt das Projekt von zufälligen Analogien, die isoliert und de(re)kontextualisiert neue Zusammenhänge schaffen. Im Kern emotional wird jede „wissenschaftliche Entdeckung“ der Künstlerin zu einem Kleinod des Glücks – dem/der BetrachterIn zu einem Feld freier Assoziation. Partizipation und Interaktion sind auf einer geistigen Ebene angesiedelt. Sichtbares und Unsichtbares bleiben unabgeschlossen und damit potentiell.
„Spielen ist Experimentieren mit dem Zufall“ (Novalis). Mellinghaus spielt und der Zufall ist der Künstlerin gewogen.
Elisabeth Krabichler